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Was kommt nach der Fichte?

Wenn ich zwischen den akkurat gepflanzten Fichten des Thüringer Waldes nach Pilzen suche, erinnert mich der harzige Geruch an unbeschwerte Kindheitstage und lange Wanderungen. Kaum vorstellbar, dass der Thüringer Wald, mit all meinen Kindheitserinnerungen, in wenigen Jahren so nicht mehr existieren wird. Doch fragt man Hagen Dargel, Forstamtsleiter Frauenwald, geht es dem Thüringer Wald seit 2018 zusehend schlechter.

 

Fast ein Drittel der Fläche Thüringens ist mit Wald bedeckt. Angesichts der Klimakrise steht dieser, wie viele Wälder in Deutschland, unter enormen Stress. Steigende Temperaturen, ausbleibende Niederschläge, sinkende Grundwasserspiegel und ein zusätzlicher Schädlingsbefall führen dazu, dass immer mehr Bäume verschwinden.

Was das konkret bedeutet, kann ich seit Anfang September von meinem Fenster aus beobachten. In der Nähe der kleinen Ortschaft Manebach frisst sich ein Harvester schnell und zielstrebig quer durch den Ilmenauer Stadtwald. Rund 20 Sekunden benötigt die Holzerntemaschine, um eine 70 Jahre alte Fichte zu fällen, alle Äste zu entfernen, in praktische Stücke zu zerteilen und abfahrbereit zu stapeln. Zurück bleiben fußballfeldgroße Kahlflächen, Trümmerfelder aus Baumstämmen und abgeschnittenen Ästen. Ein Anblick, der vielen Menschen Angst macht und Fragen aufwirft. Wie bekommen wir den Thüringer Wald wieder fit, sodass er zukünftig nicht nur Schädlingen, sondern auch dem Klimawandel trotzt? Wie sieht der Thüringer Wald der Zukunft aus?

 

Jedenfalls nicht so wie der Thüringer Wald meiner Kindheit! „Von den Fichten müssen wir uns verabschieden. Sie werden nur in höheren Lagen des Thüringer Waldes, wo es noch kühler und feuchter ist, wachsen können“, erklärt Dargel in seinem Vortrag im Gemeindehaus Manebach. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an diesem Mittwochabend ist groß. Alle Stühle sind besetzt, die Luft ist stickig und die Stimmung angespannt. 

Bereits nach den ersten Folien der Power-Point-Präsentation wird deutlich, dass die von Hitze und Dürre geschädigten Bäume die perfekte Lebensgrundlage für den Buchdrucker sind. Begünstigt durch die frostarmen Winter- und zu warmen Sommermonate, graben sich pro Jahr mittlerweile bis zu drei Generationen des Schädlings ungehindert durch die Rinde der Fichten. Früher hätte man im Wald immer wieder Borkenkäfer-Fallen gesehen, kommt der Einwand aus der Runde. Wo sind diese hin? „Bei der Masse an Borkenkäfern, zeigen die früher oft genutzten Fallen, keine Wirkung mehr“, gesteht Dargel. Auch den Einsatz von Insektiziden gegen die Borkenkäferplage hält er für bedenklich, da diese nicht spezifisch genug sind. Zu viele weitere, nützliche Insekten würden dadurch geschädigt werden.

„Forst, Gras, Maus, aus“, ein Spruch, mit dem Dargel die kommenden Herausforderungen mit den jetzt vorliegenden Brachflächen knapp zusammenfasst. Durch die intensive Bewirtschaftung sind die Böden ausgelaugt, trocken und können schnell durch Wind und Wasser erodiert werden. Es ist daher fraglich, inwieweit eine Naturverjüngung stattfinden wird, oder ob die Flächen von Gras überwachsen werden. Bei letzterem hätte es ein Pionierwald schwer, sich durchzusetzen, fasst Dargel seine Erfahrungen zusammen.

 

2007 war der Thüringen Forst das erste Mal mit dem Management großflächiger Kahlflächen konfrontiert. Damals fegte der Sturm Kyrill durch die Wälder und knickte innerhalb einer Nacht unzählige Bäume um. Nach den Aufräumarbeiten wurden Teile der zerstörten Waldflächen der natürlichen Regeneration überlassen. Auf anderen Flächen hingegen hat der Thüringen Forst gezielte Aufforstungs- und Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt, um die Wiederherstellung der Wälder zu beschleunigen und die Artenvielfalt zu fördern. 15 Jahre später sind die Flächen nicht mehr kahl. Sie sind bewachsen mit einem dichten, artenreichen und intakten Mischwald. Ein Grund zur Hoffnung! Denn fest steht: Im Kampf gegen den immer schneller fortschreitenden Klimawandel, sind wir auf gesunde und intakte Waldökosysteme angewiesen.

 

Dargel ist sich dieser Verantwortung bewusst und möchte nichts dem Zufall überlassen. Gemeinsam mit den Forstämtern plant er den Thüringer Wald der Zukunft – zumindest den Wald der nächsten 30 bis 40 Jahre! Hierbei setzen sie auf heimische Baumarten. Im Fokus stehen Bergahorn, Eichen, Buchen, Weißtannen, Esskastanien und Nüsse, aber auch Obstbäume wie die Kirsche. 

 

Der Thüringer Wald wird sich weiterhin stark verändern. Damit müssen wir uns abfinden. Verschwinden wird er jedoch nicht, da ist sich Dargel sicher.

 

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05.10.2023, gekürzte Version

Autorin: Caro Berg